03.06.19

Im Vergleich zur Routineversorgung bei Patienten mit akuten Rückenschmerzen führt eine risikoadaptierte Kurzintervention in Hausarztpraxen zu keinen klinisch relevant besseren Verläufen.

Rückenschmerzen sind häufig. Allerdings verschwinden 90 Prozent aller Rückenschmerzen innerhalb der ersten zwei Wochen ganz von allein, egal, was man tut.  Problematisch sind die Verläufe, die zur Chronifizierung neigen. Sie betreffen etwa 10 - 15 Prozent der Patienten.  Für eine solche Entwicklung gibt es mehrere psychosoziale Risikofaktoren. Wichtige Risikofaktoren dafür sind auch psycosoziale Faktoren wie Angst-Vermeidungs-Überzeugungen, depressive Verstimmung, Katastrophisierung oder Arbeitsplatzprobleme. Sie werden klinisch unter dem Begriff "yellow Flags" zusammengefasst.

Fragestellung

Eine Studie untersuchte nun, ob ein Screening auf Chronifizierungsrisiken in Hausarztpraxen kombiniert mit einer risikoadaptierten Gruppenintervention eine Chronifizierung von Rückenschmerzen im Vergleich zur Routineversorgung vermeiden kann.

Die Intervention greift im Gegensatz zur Beratung im engen Sinne direkt in das Geschehen ein, um ein unerwünschtes Phänomen, in diesem Fall die Risikofaktoren der Chronifizierung, zu beseitigen oder gar nicht erst entstehen zu lassen. Im Mittelpunkt stehen nicht Entscheidungsprobleme sondern Handlungsprobleme. Kurzintervention besagt, dass die Intervention (das Eingreifen) nur über wenige Tage beziehungsweise während weniger Sizungen erfolgt. Eine Intervention ist keine Therapie. Der Schmerz wird nicht beseitigt (geheilt), sondern durch psychosoziale Modifikationen in seiner Entwicklung beeinflusst.Risikoadapierte Intervention sind in in Inhalt und Vorgehensweise thembezogen an die spezifischen Risiken angepasst.

Aufgrund der enormen volkswirtschaftlichen Folgekosten durch chronische Rückenschmerzen wären Interventionen, die einer Chronifizierung entgegenwirken, überaus wichtig. Die Autoren der Nationalen VersorgungsLeitlinie "Nicht-spezifischer Kreuzschmerz" empfehlen als Voraussetzung für gezielte Interventionsmaßnahmen ein Screening auf Risikofaktoren. Screening als Identifikation von Risikofaktoren ist aber nur dann sinnvoll, wenn es wirksame therapeutische Konsequenzen hat. In der vorliegenden Studie wurde daher geprüft, ob ein Screening in Hausarztpraxen auf Risikofaktoren, kombiniert mit einer risikoadaptierten Gruppenintervention, besser vor chronischen Verläufen schützt als die Routineversorgung.

Studiendesign

An der in 35 Hausarztpraxen nahmen 354 Patienten mit akuten Rückenschmerzen teil. Nach Screening auf körperliche oder psychosoziale Risikofaktoren für Chronifizierung durch einen Kurzfragebogen mit 9 Fragen wurde den Patienten, die für eine Intervention vorgesehen waren ("Interventionsarm") das "Rückenbuch" oder standardisierte Gruppeninterventionen als Schulung (4–8 h) angeboten. Die Inhalte der Schulung bestanden in der Vermittlung von Wissen über Rückenschmerzen inkl. psychosozialer Faktoren sowie von Strategien zum Aufbau körperlicher Aktivität. Die patienten der Vergleichsgruppe wurden routinemäßig versorgt.

Der primäre Endpunkt (wichtigste Zielvorgabe) waren die mit Fragebögen erfasste subjektive Funktionskapazität (Bewältigung von Alltagsanforderungen) nach 6 und 12 Monaten.

Sekundäre Endpunkte (zweite Zielvorgabe) waren der Schweregrad der Rückenschmerzen, Angst-Vermeidungs-Überzeugungen, Depressivität, die Selbsteinschätzung des Gesundheitszustands und die Inanspruchnahme medizinischer Leistungen.

Studienergebnisse

Im Beobachtungszeitraum verbesserten sich im Durchschnitt alle Patienten bei den schmerzbezogenen Endpunkten. Die Kurzinterventionen hatten jedoch keine klinisch relevanten Effekte auf die therapeutischen Ziele, obwohl die Verläufe in der Interventionsgruppe konsistent leicht positiver waren.

Die Adhärenz an die angeboten Interventionen war insbesondere für psychologische Angebote gering.

Adhärenz: Als Adhärenz bezeichnet man in der Medizin das Maß, in dem das Verhalten eines Patienten mit seinem Therapieziel übereinstimmt. Hält sich ein Patient an bestimmte, mit seinem Arzt besprochene Verhaltensregeln, die dafür sorgen sollen, dass sein Therapieziel erreicht wird, nennt man das Adhärenz. Als Non-Adhärenz dagegen bezeichnet man die Weigerung oder Unfähigkeit des Patienten, ärztliche Handlungsanweisungen zu befolgen.Die Adhärenz des Patienten spielt bei praktisch jeder Form von medizinischer Versorgung eine wesentliche Rolle, bei der konservativen Behandlung von chronischen und akuten Erkrankungen, vor und nach operativen Eingriffen, bei der Prävention, in der Psychiatrie und sogar in der Naturheilkunde.

Schlussfolgerungen

Die meisten Interventionsstudien zur Prävention der Chronifizierung von Rückenschmerzen konnten im Vergleich zur Regelversorgung keine oder nur geringe Verbesserungen nachweisen. Auch die in dieser Studie geprüfte risikoadaptierte Kurzintervention führte im Vergleich zur Routineversorgung nicht zu klinisch relevant besseren Verläufen. Dies spricht aber nicht grundsätzlich gegen solche Interventionen. Angesichts der mäßigen Adhärenz ist von entscheidender Bedeutung, die gefährdeten Patienten nicht nur zu identifizieren, sondern ihnen ein "Interventions-Angebot"zu machen, das sie annehmen und umsetzen. Die Aussage"Problem erkannt, Problem gebannt" trifft hier nicht zu. Weitere Studien mit einer besseren Umsetzung des Schulungsangebots und Anpassung an die individuellen Patientenbedürfnisse sowie einer besseren Studienlogistik sind notwendig. Dabei ist allerdings zu bedenken, dass auch Interventionen erforderlich sind, die von Hausärzten organisatorisch und ökonomisch zu realisieren sind.

Quellen:

  • Prävention chronischer Rückenschmerzen: risikoadaptierte Kurzintervention wenig erfolgreich
    Der Schmerz
    Autor: Dr. med. T. Kron

    www.univadis.de
  • Effekte einer risikoadaptierten Kurzintervention zur Prävention der Chronifizierung bei akuten Rückenschmerzen
    Eine clusterrandomisierte Studie in Hausarztpraxen
    Zeitschrift: Der Schmerz > Ausgabe 3/2019
    Autoren: MPH Prof. Dr. med. Jean‑François Chenot, Prof. Dr. rer. biol. hum. Michael Pfingsten, Dr. med. Ulf Marnitz, Prof. Dr. Klaus Pfeifer, Prof. Dr. phil. Thomas Kohlmann, Dr. Gabriele Lindena, Prof. Dr. phil. Dr. rer. med. Carsten Oliver Schmidt

    www.springermedizin.de