03.06.19

Menschen, die dauerhaft unter Rücken- oder Nackenschmerzen leiden, sollten auch psychische Faktoren als Ursache in Betracht ziehen.

Die häufigste Ursache für Rückenschmerzen sind Muskelverspannungen aufgrund von Fehlbelastungen der Wirbelsäule. Unterschieden werden akute Rückenschmerzen (bis zu 6 Wochen) und chronische Rückenschmerzen (länger als 6 Wochen). Werden Rückenschmerzen chronisch, muss an begleitende psychische Ursachen gedacht werden. Ein solcher psychischer Faktor kann etwa Stress sein. 

Wieso belastet Stress den Rücken?

Chronischer Stress senkt den Cortisolspiegel des Blutes, was zu Depressionen oder Angstzuständen führen kann. In solchen Stimmungstiefs oder Phasen der Angst und Depression werden Beschwerden als noch bedrohlicher wahrgenommen, vor allem dann, wenn sie mit Schmerzen assoziiert sind. Das wachsende Gefühl der Bedrohung löst weiteren Stress aus, der wiederum Depressionen und Angstzustände verstärkt. So kommt ein Teufelskreis in Gang.

Ob sich aus den Angstzuständen ein Rückenschmerz entwickelt, hängt vor allem und entscheidend davon ab, wie der Patient reagiert. Angst und auch Depressionen setzten Vermeidungsprozesse in Gang. Einige Menschen vermeiden daher vorsichtshalber jede weitere Bewegung. Mediziner sprechen von Angstvermeidungsverhalten und vom biopsychosozialen Schmerzmodell. Die Beschwerden führen zu weniger Aktivität und zu Schonhaltung. Damit schwächen sie aber ihre Muskeln, begünstigen Fehlhaltungen und verschärfen die soziale Problematik, indem sie sich aus lauter Angst und nachlassendem Selbstbewusstsein immer weiter zurückziehen.Was ein gesunder Mensch kaum wahrnehmen würde, tut solchen Patienten bereits sehr weh.

Neben dem beschriebenen Teufelskreis aus Stress und Angst befindet sich der Patient nun in einem weiteren Teufelskreis durch Vermeidung der therapeutisch wichtigen Belastung und bewegung.

Den von Angst und Vermeidung angetriebenen Teufelkreis zu durchbrechen ist anfangs sehr schwer. Meldet sich ein Patient mit Rückenschmerzen, beginnt erst einmal die "klassische, konservative" Diagnostik mit bildgebenden Verfahren, Labor und anderen Untersuchungen. Diese Untersuchungen sind sehr wichtig, um ernste Hintergründe der Rückenschmerzen sicher ausschliessen zu können. Gleichzeitig bedingen sie aber neuen Stress (Termindruck, fremde Umgebungen, mangelndes Verständnis für die Befunde etc.). Großmanövers in Diagnostik und Therapie können Patienten zusätzlich verunsichern. Sie sollten daher mit entsprechender Zuückhaltung angeboten und realisiert werden.

Ist es sinnvoll, den Schmerz zu ignorieren?

Wenn der Schmerz "nur" das Ergebnis von Stress und Angst ist, und nicht auf schwere körperliche Veränderungen oder Verlezungen zurückzuführen ist, bietet es sich doch an, ihn einfach zu ignorieren? Diese Annahme liegt nahe, berücksichtigt aber nicht, dass man dann den Bewegungsapparat übermäßig belastet und beansprucht. So schafft man sich neue Ursachen für das Rückenleiden. Wer sich gezielt über Wochen oder Monate hinweg ablenkt, mit dem Ziel, von den Schmerzen abzulenken, äuft Gefahr, dass seine Rückenschmerzen chronisch werden. Das gilt besonders dann, wenn die Ablenkung etwa mit Mehrarbeit und verstärkten Anforderungen  im Beruf oder privat erfolgen soll. Weiterer Stress wäre dann vorprogrammiert.

Was kann man tun?

Am Anfang steht die Aufklärung. Die meisten Rückenschmerzen sind harmlos und auf einen Zeitraum von wenigen Tagen oder Wochen begrenzt. Gleichzeitigt ist es wichtig, immer in Bewegung zu bleiben – und zwar möglichst so, dass es Spaß macht. Ziel der ersten Aufklärung wäre dann dann die Entwicklung des Vertrauens und der Zuversicht in eine mögliche Heilung der Beschwerden und die Entwicklung der dazu notwendigen Motivation.

Der nächste Schritt wäre die begründtete, d.h. an der Situation des Patienten festgemachte Reduktion der noch allgemein üblichen Großmanöver in Diagnostik und Therapie.

Ansprechpartner ist in beiden Fällen der Arzt. Rückenschmerz-Patienten sollten von ihrem Arzt erfahren, dass ihre Beschwerden ungefährlich sind, es gute Aussichten auf Besserung gibt und dass sie weiterhin aktiv bleiben sollten ("müssen!"), statt sich zu schonen. Zunächst ist also Beruhigung  gefragt. Zwar wollen gerade ängstliche Patienten häufig ganz genau wissen, was mit ihrem Kreuz nicht stimmt. Doch selbst um einen gefährlichen Krankheitsverlauf auszuschließen, braucht es häufig keine Röntgen- oder MRT-Bilder. Dazu reichen eine Untersuchung und ein ausführliches Gespräch. Ohnehin gibt es keinen direkten Zusammenhang zwischen Veränderungen an der Wirbelsäule und Beschwerden. Verschleiß erhöht zwar die Wahrscheinlichkeit von Schmerzen, muss aber nicht dazu führen.

Persistieren die Schmerzen und droht somit eine Chronifizierung, sollten  frühzeitig eventuelle psychosoziale Ursachen geklärt werden. Hat der Betroffene sehr viel Stress im Beruf? Liegt in der Familie etwas im Argen? Die Ergebnisse sind mittlerweile auch in die nationale Versorgungsleitlinie zum sogenannten unspezifischen Kreuzschmerz eingeflossen und werden dort entsprechend empfohlen. Leider  tun die Mediziner das aber nur bei jedem zweiten Betroffenen Quelle: Faktencheck Bertelsmann Stiftung).

Der nächste wichtige Aspekt betrifft die Sensibilisierung des Patienten dafür, Stress als Ursache für Rückenschmerzen wahrzunhemen. Bei vielen Betroffenen sind Kopf und Körper längst auseinandergedriftet. Manchem ist nicht bewusst, dass er stets auf Hochtouren läuft, an tausend Dinge denkt, nie im Hier und Jetzt ist, nie zur Ruhe kommt. Viele Patienten mit chronischen Beschwerden spüren nicht mehr, wie sich unter Stress ihre Rückenmuskulatur verspannt. Sie bleiben zum Beispiel einfach acht Stunden am Stück am Schreibtisch sitzen. Dieses Gefühl für den eigenen Körper und die möglichen Bedrohungen für die Gesundheit muss wieder vermittelt werden. Um das verloren gegangene Gefühl für den eigenen Körper wiederzubekommen, setzen Schmerzexperten auf Meditation, Yoga und Achtsamkeit. Was nach Esoterik und Modewelle klingt, hilft vielen - aber nicht allen - Patienten mit chronischem Rückenschmerz tatsächlich. Voraussetzungen sind natürlich neben der Bereitschaft, sich auf eventuell langwierige Kurse einzulassen, auch das Vorhandensein von in diesen bereichen gut ausgebildeten Therapeuten und - leider oft genug - die Bereitschaft, dafür zu zahlen.

Zusammenfassung

Die geschilderten Zusammenhänge verdeutlichen die Bedeutung von Psyche, Stress und Angst für die Enstehung und Entwicklung von Rückenschmerzen und betonen so gleichzeitig die Bedeutung psychischen Erlebens in Diagnostik und Therapie. Psychische Belastungen oder Herausforderungen dürfen aber nicht all alleinige Ursachen für Rückenleiden gesehen werden. Sie können mitverantwortlich oder hauptverantwortlich sein, bleiben aber wegen der komplexen Vielfalt aus unter anderem Bewegung, Verletzung, Fehlstellung, körperlicher Fehlbelastung und seelischem Befinden immer nur ein Teilaspekt im gesamten Spektrum der Diagnostik und Therapie von Rückenschmerzen. Beide Säulen der Behandlung, Diagnostik und Therapie, müssen immer multifaktoriell betracht werden. Die Gewichtung und somit die Bedeutung der jeweiligen Faktoren wie bildgebende Diagnostik, Anamnese, medikamentöse Schmerztherapie, Bewegungsthrapie oder Psyche etc. muss immer individuell erfolgen. In der Regel steht am Ende ein multimodales Disease Management, wie es von entsprechenden Fachkreisen schon seit langem gefordert wird.

Quellen und Lesetipps: