08.04.19

Die Funktionsdiagnostik der Hüfte ist schwierig, umfangreich und zeitintensiv. Daher wird sie zugunsten bildgebender Verfahren wie Röntgen oder MRT häufig vernachlässigt.

An dieser Stelle versuchen wir, Ihnen einen kleinen Überblick über den vollständigen Ablauf einer Untersuchung des Hüftgelenks zu geben, die zur Diagnose einer Arthrose geeignet ist.

Leider sind die praktischen Untersuchungstechniken sehr komplex oder orientieren sich an anatomischen Begriffen, die für den Laien oder selbst für den nicht orthopädisch ausgebildeten Arzt nur nicht immer verständlich sind. Wir haben daher versucht, auf entsprechendes Bild- oder Videomaterial zu verlinken.

Diese Liste ist nicht zur Selbstdiagnose geeignet! Einige der vorgestellten Test sind aber einfach durchzuführen und sollten Ihnen bei einem positiven Ergebnis Anlass geben, bei vorliegenden Beschwerden wie Schmerzen oder Bewegungseinschränkungen orthopädische Hilfe und Beratung in Anspruch zu nehmen.

Das Hüftgelenk

Das Hüftgelenk, ein Kugelgelenk, ist ein elementarer Bestandteil des Bewegungsapparates. Es überträgt die Belastung vom Rumpf auf die untere Extremität. Entsprechend häufig ist es von Verschleiß betroffen. Sowohl das Verständnis und Kenntnis verschiedener Hüft­erkrankungen als auch die Techniken der gelenkserhaltenden Hüftchirurgie haben sich in den letzten 10 Jahren rasant weiterentwickelt. Zur präzisen Diagnosestellung und Einleitung einer adäquaten nichtoperativen oder operativen Behandlung sind neben einer ausführlichen Anamnese eine standardisierte körperliche Untersuchung und radiologische Diagnostik erforderlich.

Körperliche Untersuchung am Patienten
Inspektion und Palpation (Abtasten)

Gehender Patient

Beurteilt wird das Gangbild. Ist die (vom z.B. Schmerz) betroffene Extremität oder Teile davon (Unterschenkel, Fuß) innenrotiert oder außenrotiert.

  • Innenrotation: Drehen nach innen
  • Außenrotation: Drehen nach außen

Beobachtet wird auch, ob der Patient hinkt. Dabei wird unterschieden nach Hinken infolge Beinverkürzung, Verletzung, spastische und schlaffe Lähmungem oder bedingt durch Schmerzen.

Stehender Patient

Alle Körperseiten werden begutachtet. Sind alle Gliedmaßen “regelrecht” oder zeigen sich Abweichungen und Deformierungen?

  • Ventral (von vorne):
    Begutachtung der Rumpfstellung , der Beckenstellung und der Femurstellung (Oberschenkel).
  • Lateral (von der Seite):
    Hier wird besonders auf die Form der Wirbelsäule und den Beckenstand geachtet.ist die Lendenlordose (Biegung der Lendenwirbelsäule konvex nach vorne) “regelrecht”, zu ausgeprägt (Hohlkreuz) oder zu flach? Ist das Becken nach vorne oder hinten gekippt.
    Wichtig: Immer von beiden Seiten begutachten!
  • Dorsal (von hinten):
    Inspektion des Beckenstandes und Muskelreliefs

Bei adipösen Patienten muss die Wirbelsäule oder der Beckenkamm ggf. getastet werden.

Liegender Patient

  • Inspektion der Haut auf Narben, Verletzungen oder Entzündungszeichen.
  • Prüfung des Trochanter Major auf Klopf- oder Druckschmerz.

Der Trochanter major (Rollhügel) ist der kräftige Knochenvorsprung des Oberschenkelknochens (Femur), der von außen tastbar ist (Bild:Forum Orthopädie)

  • Prüfung der Leiste auf Leistendruckschmerz.
  • Prüfung der Extremität auf Stauchungsschmerz.
  • Beckenkompression von vorne, hinten und beidseits.
  • Druck aufs Schambein zur Überprüfung von Symphysendruckschmerz.

Wichtig ist die Beantwortung der Frage, ob die Ausübung von Druck auf die beschriebenen Regionen schmerzauslösend ist. Weiterhin muss dokumentiert werden, ob die vom Patienten geschilderten Schmerzen lokal oder in einer anderen Region entstehen (Rückenschmerzen oder Beckenschmerzen), bzw. weitergeleitet werden.

Bilder (Beispiele) zur Untersuchung am liegenden Patienten finden Sie beiAMBOSS - Fachwissen für Mediziner, ein Video zu einigen der geschilderten Techniken beiYoutube.

Körperliche Untersuchung am Patienten
Bewegungsprüfung des Hüftgelenks

Das Hüftgelenk besitzt drei Freiheitsgrade, in denen Bewegungen um drei Hauptbewegungsachsen möglich sind:

  • longitudinal (nach innen oder außen rotieren, medizinisch Innen- und Außenrotation)
  • sagittal (nach innen anziehen und seitlich abspreizen, medizinisch Adduktion und Abduktion)
  • transversal (beugen oder strecken, medizinisch Flexion und Extension)

Bei einigen Bewegungstests werden die Beweglichkeitsgrade und Bewegungsumfänge gemessen. Dazu sind Instrumente wie Winkelmesser etc. nötig. Alternativ zählt der optische Eindruck, der auf Erfahrungswerten beruht.

  • Innen-/Außenrotation : 35°/0°/45°
  • Adduktion/Abduktion : 25°/0°/45°
  • Flexion/Extension : 140°/0°/15°

Bei den aktiv vom Patienten oder passiv durch den Orthopäden durchgeführten Bewegungen wird auf Schmerzen, Muskelverkürzungen und Muskelverhärtungen geachtet.

Bilder (Beispiele) zur Funktions- oder Bewegungsdiagnostik finden Sie beiAMBOSS - Fachwissen für Mediziner. Ein gutes Video ist der Youtube BeitragHüftgelenke - Tests und osteopathische Behandlungs-Techniken. Die hier vorgestellten Untersuchungen sind umfassend und nicht nur zur Verdachtsdiagnose Arthrose zielführend . Es handelt sich dabei , anders die Beschreibung suggeriert, weitgehend um die klassischen, auch in der Orthopädie gebräuchlichen Techniken.

Körperliche Untersuchung am Patienten
Funktionstests

Trendelenburg-Zeichen

Die Prüfung des Trendelenburg-Zeichens dient dem Nachweis einer Insuffizienz der zweier Gesäßmuskeln, dem M. glutei medius und dem M. minimus.

Verglichen werden die Höhen der beiden Darmbeinkämme “Beckenschaufeln). Dabei muss der Patient vom sicheren Stand auf zwei Beinen in den Einbeinstand wechseln. Auch hier werden beide Seiten untersucht.

Kommt es nicht zu einem Absinken einer Beckenseite im Einbeinstand und keiner kompensatorischen Bewegung des Oberkörpers entspricht das einem gesunden, nicht auffälligen Befund.

Ein Absinken des Beckens zur gesunden Seite, d.h. der Spielbeinseite (Trendelenburg-Zeichen) spricht für einen pathologischen Befund auf der Seite des Standbeins. Patienten mit starken oder bereits lang andauernden Beschwerden kompensieren das Absinken der Hüfte auf der gesunden Seite durch eine Neigung des Oberkörpers zur kontralateralen Seite. Diese Kompensation wird auch Duchenne Zeichen genannt. Ein (häufig beidseitiges) Duchenne-Zeichen führt beim gehenden Patienten zur kompensatorischen Hin-und-Her-Bewegung des Oberkörpers, dem Duchenne-Hinken.

Ein positives Trendelenburg-Zeichen beweist zunächst nur den Ausfall der Glutealmuskeln, z.B. aufgrund einer Schädigung des Nervus gluteus superior, einer angeborenen Luxation oder einer Hüftkopf- bzw. Hüftgelenksschädigung wie die Coxarthrose (Hüftgelenksarthrose).

Bilder zum Trendelenburg Zeichen finden Sie beiAMBOSS - Fachwissen für Mediziner, ein Video unter dem Beitrag Trendelenburg und Duchenne Hinken, Klinische Untersuchung der Hüfte.

Thomas-Handgriff

Der Thomas Handgriff ist ein Test zur Feststellung einer Hüftbeugekontraktur. Die primären Ursache für Hüft-Beuge-Kontrakturen liegen im Hüftgelenk (z.B. eine Koxarthrose). Nicht selten führen sie sekundär zu LWS-Beschwerden (Kreuzschmerzen), wodurch ein falscher Eindruck über die Ursache der Beschwerden entstehen kann.

Der Patient legt sich zur Untersuchung auf den Rücken und der Untersucher legt eine Hand flach unter die Lendenwirbelsäule des Patienten. Während der Untersuchung sollte mit dieser Hand eine Hyperlordosierung der LWS (Hohlkreuz) ausgeschlossen werden, die das Testergebnis verfälschen würde. Mit der anderen Hand wird ein Bein angehoben und das Knie so weit wie möglich zur Brust des Patienten geführt. Hierdurch wird das Becken in eine neutrale Stellung gebracht und die Lendenlordose ausgeglichen.

Bei Gesunden verschwindet beim Anheben und Beugen eines Beines die Lendenlordose und der Oberschenkel der Gegenseite verbleibt glatt auf der Liege. Bei einer einer Hüftkopf- bzw. Hüftgelenksschädigung verschwindet beim Anheben und Beugen eines Beines die Lendenlordose ebenfalls, aber das andere Bein hebt sich von der Liege ab. Das kann als direkter Hinweis auf eine Hüftbeugekontraktur gedeutet werden. Verbleibt die Lendenlordose handelt es sich um indirekten Hinweis auf eine Hüftbeugekontraktur .

Bilder (Beispiel) beiAMBOSS - Fachwissen für Mediziner. Videos zum Thomas Handgriff (Thomas Test) existieren nur in einem anderen, sportmedizinisch relevanten Kontext.

Drehmann-Zeichen

Das Drehmann-Zeichen ist bei Erwachsenen ein Hinweis auf eine Koxarthrose, Koxitis oder destruktiven Knochentumoren im Bereich der Hüfte.

Das Bein des auf dem Rücken liegenden Patienten wird durch den Untersucher in Knie und Hüfte flektiert (gebeugt). Dabei kommt es im Normalfall weder zu einer Außen- noch zu einer Innenrotation. Treten jedoch Außenrotation und Abduktion (“Abspreizen”) in der Hüfte während der passiven Flexion (Beugung) auf, ist das Drehmann-Zeichen positiv.

Eine ausführliche Beschreibungdes Drehmann-Zeichens  finden Sie imDoccheck Flexikon.

Vierer-Zeichen (Patrick-Test)

Das Vierer-Zeichen ist eine unspezifische Untersuchung, bei der Schmerzen für eine Pathologie in der Hüfte sprechen (z.B. Koxitis oder M. Perthes).

Die Ferse der zu untersuchenden Seite wird auf das Kniegelenk der Gegenseite gelegt. Hierdurch kommt es automatisch zur Außenrotation und Abduktion im jeweiligen Hüftgelenk. Das Kniegelenk der zu untersuchenden Seite wird nun losgelassen und anschließend vorsichtig in Richtung Boden gedrückt. Dabei sollte die Hüfte der Gegenseite fixiert werden, damit es nicht zur Rotation der Wirbelsäule kommt (was die Ergebnisse verfälschen würde).

Normalerweise verspüren Gesunde keine Schmerzen bei der Untersuchung, Der Abstand zwischen Knie und Unterlage bzw. seitengleicher Abstand beträgt weniger als 20 cm. Bei der Untersuchung auftretende Schmerzen oder mehr als 20 cm Abstand zwischen Knie und Unterlage bzw.ein  im Seitenvergleich deutlich erhöhter Abstand sind als Hinweise auf eine Pathologie des Hüftgelenkes, z.B. eine Koxitis oder M. Perthes zu werten.

Bildmaterial bei AMBOSS - Fachwissen für Mediziner. Videos (leider nur auf Englisch) finden Sie bei Youtube unter dem Stichwort “Patrick Test”.

Zusammenfassung

Die vorgestellten Untersuchungstechniken sind nur eine kleine Auswahl. Ihre Durchführung verlangt viel Erfahrung, Übung und solide anatomische Grundkenntnisse. Sie können (oder müssen) durch patientenspezifische Untersuchungen ergänzt werden. Dazu zählen auch Untersuchungen zum Ausschluss anderer Usachen für die vom Patienten geschilderten Beschwerden, beispielsweise infolge degenerativer Veränderungen des Ileosakralgelenks.

Zusammen mit einer ausführlichen Anamnese und den Befunden der bildgebenden Verfahren ist die körperliche Befunderhebung eine wichtige, unentbehrliche Säule einer sicheren, weiterführenden Diagnostik.

Quellen:

Folgende Videos zeigen Teile der vorgestellten Untersuchungstechniken im klinischen Alltag oder als Präsentationen zu Lehrzwecken:

Leider nur auf Englisch: