05.12.10

Die allgemeine Definition der WHO

Die Weltgesundheitsorganisation WHO definiert den Begriff Osteoporose als systemische Erkrankung des Skeletts, gekennzeichnet durch eine erniedrigte Knochenmasse aufgrund eines vorangegangenen Knochenmasseverlustes und die dadurch bedingte zunehmende Zerstörung der Knochenstruktur mit der Folge einer erhöhten Knochenbrüchigkeit.

Gleichzeitig listet die WHO die Osteoporose unter die 10 häufigsten Volkskrankheiten überhaupt.

Auch wenn diese Definition zunächst unbefriedigend und wenig hilfreich erscheint, hat sie jedoch einen ganz pragmatischen Hintergrund. Durch die Erwähnung lediglich der wichtigsten Merkmale und der für den Patienten schlimmsten Folge, der Knochenbrüchigkeit, trägt sie der ungeheuren Komplexität dieser Erkrankung in all Ihren Erscheinungsformen Rechnung.

Betrachtet man die große Liste von in Frage kommenden Ursachen, möglichen Beschwerden und eventuell zu erwartenden Komplikationen, wird einem schnell bewusst, dass diese weit und sehr individuell in das Leben eines Einzelnen eingreifende Erkrankung nicht in einer aus nur wenigen Sätzen bestehenden Definition zu fassen ist.

Die neue Definition der WHO – der Weg über den T-Score
Eine neuere, andere Definition der Weltgesundheitsorganisation WHO gibt sich daher praxisnäher. Sie reduziert die Definition der Osteoporose nur noch auf die messbare Knochendichte, den Ihnen vielleicht aus Arztbesuchen schon bekannten T-Wert oder T-Score.

Der T-Score gibt die Abweichung Ihrer gemessenen Knochendichte von einem statistischen Durchschnittswert der Knochendichte von Frauen und jüngeren Männern an. Dabei bezieht sich der Durchschnittswert für Frauen ausschließlich auf Frauen vor den Wechseljahren, also Frauen vor der Menopause.

Welche Rolle spielt der T-Wert in der Definition nach der WHO?  Weicht Ihr T-Wert um mehr als 1 nach unten ab, (T-Score < - 1 SD), so liegt bei Ihnen definitionsgemäß eine Osteopenie vor. Die Silbe „-penie“ steht in der medizinischen Terminologie für einen Mangel, für „zu wenig von etwas“. Osteopenie bedeutet in der Übersetzung etwa „zu wenig an Knochen“. In der Praxis beschreibt der Begriff Osteopenie ein Zwischenstadium. Wird bei Ihnen anhand des T-Wertes eine Osteopenie diagnostiziert, haben Sie zwar keinem normalen Knochen mehr, sind aber auch noch kein Patient mit Osteoporose.

Eine Osteoporose nach dieser Definition haben Sie, wenn Ihr T-Wert auf unter 2,5 fällt (T-Score < - 2,5 SD).

Klingt diese Definition klingt einfach und plausibel? Sicher, auf den erste Blick ja. Aber dennoch stellt sie uns vor eine ganze Reihe schwieriger, aber auch ganz banaler Probleme.

Ein ganz banales, aber folgenreiches Problem dieser Definition ist, dass es keine objektive Messmethode gibt. Es existieren im Gegenteil zahlreiche völlig verschiedene Messmethoden, welche zum Teil auch unterschiedliche Eigenschaften Ihrer Knochens messen und somit zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Der von der WHO angeregte Durchschnittswert gilt dagegen nur für ein Verfahren der Knochendichtemessung, die sogenannte DXA-Methode.

Stellen Sie Sie sich einen Markt vor, auf dem Sie bei einem Metzger einkaufen wollen. Ein Metzger bietet Ihnen Ware für 20 Euro das Kilo, ein anderer Ware für 25 Euro das Kilo. Der eine Metzger wiegt mit Knochen, der andere ohne Knochen, aber mit dem Verpackungsmaterial. Können Sie die Preise objektiv vergleichen? Wohl kaum.

Das zweite Problem einer Definition der Osteoporose über die Messung der Knochendichte besteht in der Tatsache, dass es auf einem statistischen vergleich beruht. Diese Problem ist komplizierter. Einerseits sind Statistiken verlässliche Methoden, um Objektivität zu gewährleisten. Andererseits geht es in der Medizin auch immer um Individuen. Mit anderen Worten: Ihre T-Wert Abweichung vom statistischen Mittel sagt nicht über die Konsequenz, die Ihre Erkrankung für Sie und ihr Leben hat. Ein Patient, der regelmäßig Tätigkeiten ausüben muss, bei denen die Wirbelsäule stark strapaziert kann bereits bei kleineren Abweichungen des T-Wertes stärker leiden als ein „Sesselsitzer“ mit starken Abweichungen des T-Wertes.

Behält man den Blick auf das Ganze, also auf alle Menschen mit Osteoporose, ist die Statistik ein gutes und erstaunlich präzises Handwerkzeug. Je mehr Patienten man betrachtet, desto mehr relativieren sich die Unterschiede. Andererseits hat der Arzt es in der Praxis immer nur mit einem einzigen Individuum zu tun, dem er dann nicht unbedingt gerecht wird, wenn er nur den statistischen Durchschnittswert als Kriterium zur Beurteilung der Knochendichte des Patienten als Maß anlegt.

Die moderne Definition mittels des BSI
Ein anderer, mehr dynamischer Ansatz, den Begriff Osteoporose verbindlich zu definieren, hat sich mit der Einführung des Begriffs Knochenfestigkeit (bone-strength) seit etwa 2001 durchgesetzt. Die Einheit der Knochenfestigkeit ist der Bone-Strength-Index, abgekürzt BSI. Die Knochenfestigkeit spiegelt dabei primär das Zusammenwirken von Knochendichte und Knochenqualität wider. Die Knochenqualität selbst wird wiederum von mehreren Faktoren bestimmt – dazu gehören etwa die Mikroarchitektur, biochemische Knochenstoffwechselparameter, die Umbaurate des Knochens und andere dynamische Parameter. Die Knochenqualität wird demnach definiert durch die mechanischen und material bezogenen Eigenschaften des Knochens. In der Klinik oder der Praxis kann die Knochenqualität nur indirekt erschlossen werden und ist in ihrer Interpretation im starkem Maße von dem Können, der Erfahrung und Kompetenz Ihres Therapeuten abhängig.

Einige Instrumente zur Messung der Knochendichte können über einen implementierten Algorithmus den BSI-Wert gleich mitliefern. Wurde bei Ihnen ein BSI-Wert ermittelt, halten Sie einen Befund in Händen, in dem nach einem komplizierten mathematischen Berechnungsverfahren Ihre Knochendichte und Ihre Knochenqualität berücksichtigt wurden. Er beschreibt verständlich ausgedrückt, die Widerstandsfähigkeit Ihrer Knochen – und da besonders der rohrförmigen Knochen, gegen Biegung und Drehung.

Bisherige Tests zur Validierung solcher BSI-Werte durch Biege- und Bruchtests zeigten einen eindeutigen Zusammenhang mit der Bruchlast.  Bezogen auf die Einschätzung des Hauptrisikos der an Osteoporose erkrankten Patienten, das Frakturrisiko, scheint der BSI-Wert also ein echter Fortschritt zu sein.

Der Stand der Dinge
Die Osteoporose ist eine sehr komplexe Erkrankung. Deshalb ist es schwierig eine allgemeingültige Definition festzulegen. Suchen Sie nach einer Definition, werden Sie also auch in Zukunft mehrfach fündig.

Maßgeblich ist derzeit die Definition des amerikanischen „National Institutes of Health Consensus Development Panel on Osteoporosis“ aus dem Jahre 2001.

Entscheidend bei dieser Definition ist, dass das Frakturrisiko im Vordergrund steht Das Frakturrisiko beschreibt die Wahrscheinlichkeit, einen Knochenbruch zu erleiden. Diese Wahrscheinlichkeit ist bei einer vorliegenden Osteoporose, so die gängige Definition,  aufgrund einer niedrigen Knochenmasse und einer Verschlechterung der Mikroarchitektur des Knochengewebes gegeben ist. Die gesteigerte Knochenbrüchigkeit ist das zentrale Charakteristikum der Osteoporose.

Fazit
Osteoporose als Erkrankung ist nur schwer objektivierbar. Diagnosen und Therapien, die auf statistischen Erkenntnissen beruhen, treffen im Großen und Ganzen zu und geeignet genug, verbindliche Aussagen und Begriffe festzulegen. Da kaum ein Patient genau dem statistischen Mittel entspricht, sind Abweichungen im persönlichen Erleben und der persönlichen Erfahrung selbstverständlich.

Diagnosen sollten daher nur als Richtlinien und Therapievorschläge nur als Empfehlungen gewertet werden. Allerdings bleibt es wegen der hohen Dichte der statistischen Aussagen dringend notwendig, sich an solche Empfehlungen zu halten. Ein rigoroses Festhalten und die kompromisslose Ausrichtung an Laborwerten oder gar die Erfolgskontrolle allein anhand solcher Parameter muss zu Enttäuschungen führen. Das gilt insbesondere auch für den Vergleich von Patienten untereinander. Die Situation ist ähnlich wie bei Ihrem Einkommen. Egal wie oft Sie Ihren Lohnzettel mit anderen vergleichen, letzten Endes hängt es davon ab, was Sie daraus machen. Der Patient und seine Erkrankung sind mehr als die Summe mathematischer und biochemischer Berechnungen. Das gilt insbesondere für eine so komplexe und in Ihren individuellen Folgen so weit reichende Erkrankung wie die Osteoporose.