22.01.18

Wenn das Knie plötzlich schmerzt, muss die Ursache nicht immer eine Arthrose sein. Neben anderen Gründen, spielt die Pseudogicht bei der Differentialdiagnose eine besondere Rolle.

Pseudogicht

Pseudogicht ist eine Form der Arthritis (Entzündung des Gelenks). Hauptmerkmale sind plötzliche, schmerzhafte Schwellungen an einem oder mehreren Gelenken, verbunden mit teils heftigen in ihrem Charakter an Entzündungen denken lassenden Schmerzen. Diese Schmerzepisoden können einige Tage oder mehrere Wochen andauern.

Das am häufigsten betroffene Gelenk ist das Knie. Nicht selten sind auch andere große Gelenke betroffen, zum Beispiel das Schultergelenk, das Hand-, Fuß- oder das Hüftgelenk.

Ursachen

Genau wie die ("echte") Gicht wird die Pseudogicht durch Ablagerungen von Kristallen in den Gelenken ausgelöst.

Während es sich bei der Gicht um Uratkristalle handelt, sind es bei der Pseudogicht Kalziumkristalle, die sich im Gelenkknorpel ablagern. Daher auch der Name Chondrokalzinose als Fachbegriff, wobei "Chondro" für den Knorpel und "Kalzinose" für das Vorkommen von Kalzium im Gewebe stehen. Auf die Kalziumablagerungen reagiert der Körper mit einer Entzündungsreaktion.

Die Chondrokalzinose (Ablagerung von Kalziumphyrophosphat im Gelenknorpel des Kniegelenks) findet sich zum Beispiel im Knie bei vier Prozent der Erwachsenen. Sie kann ohne Symptome bleiben (asymptomatisch) oder sich durch unterschiedliche Beschwerden bemerkbar machen.

Eine akutes Auftreten (Manifestation) solcher Beschwerden, insbesondere von Schmerzen, ist die Pseudogicht, die man somit als kristall-induzierte Synovitis (Schleimhautentzündung des Gelenks) bezeichnen kann.

In den meisten Fällen sind die genauen Auslöser für die Kalziumablagerungen nicht geklärt. Je nach Ursache werden verschiedene Formen unterschieden.

Primäre Pseudogicht

Diese Form der Erkrankung heißt auch idiopathische Pseudogicht. Die Ursache ist unbekannt. Das Risiko steigt mit zunehmendem Lebensalter. Bedingt durch den demografischen Wandel muss daher von einer steigenden Anzahl an Betroffenen ausgegangen werden.

Sekundäre Pseudogicht

In manchen Fällen ist die Pseudogicht Folge einer gleichzeitig vorliegenden Grunderkrankung. Zu den Erkrankungen, in deren Folge es zu Kalziumablagerungen kommen kann, zählen beispielsweise:

  • Überfunktion der Nebenschilddrüsen (Hyperparathyreoidismus)
  • Eisenspeicherkrankheit (Hämochromatose)
  • Schilddrüsenunterfunktion (Hypothyreose)
  • Störungen des Phosphat- und Magnesiumstoffwechsels

Hereditäre Pseudogicht

Hier liegt die Ursache für die Gelenkbeschwerden im Erbgut der Erkrankten. Die Pseudogicht tritt in der Familie gehäuft auf. Die Krankheit wird jedoch nicht direkt "weitervererbt". Lediglich das Erkrankungsrisiko steigt an.

Symptome der Pseudogicht

Allgemeine Charakteristika und mögliche Auslöser

Die Symptome treten akut auf und manifestieren sich innerhalb von einigen Stunden. Die Schmerzintensität ist vergleichbar mit der Gicht. Die Dauer reicht von einigen Tagen bis zu drei Wochen.

Unmittelbare Auslöser werden nicht beobachtet. Häufig ist eine Koinzidenz mit Traumata (Verletzungen), Operationen, internistischen Grunderkrankungen wie Herzinfarkt, Pneumonie (Lungenentzündung) oder Bluttransfusionen und infektiösen Gelenkerkrankungen festzustellen.

Auch einige Medikamente stehen unter dem Verdacht häufiger mit dem Auftreten einer Pseudogicht vergesellschaftet zu sein (beispielsweise die Hyaluronsäureinjektion direkt in das Gelenk oder der Beginn einer Thyroxinbehandlung).

Bei älteren Menschen tritt die Pseudogicht oft mit einer Verschlechterung des Allgemeinzustandes auf. Fieber oder Verwirrtheit sind dann möglich. Ausgeschlossen werden sollten deshalb auch eine infektiöse, septische Ursache für die Gelenkentzündung.

Gelenkbeschwerden

Bei vielen Betroffenen konzentrieren sich die Symptome zuerst auf das Kniegelenk. Die Kristallablagerungen im Knorpel können eine akute Reizung und Entzündung der Gelenkinnenhaut verursachen. Es kommt zu einem akuten Entzündungsschub mit den beschriebenen, anfallsartigen Schmerzen im Gelenk.

Wie bei Gelenkentzündungen häufig zu beobachten, sammelt sich dabei auch Flüssigkeit im Gelenkinneren an. Dieser Gelenkerguss wird oft als Schwellung sichtbar und schränkt die Beweglichkeit des Gelenks ein.

Neben den Schmerzen und der Schwellung zeigen sich eventuell weitere typische Zeichen einer Entzündung: So ist die Haut im Bereich des Knies gerötet und überwärmt.

Solche Symptome können auch an anderen Gelenken wie Schulter-, Hand-oder Fußgelenk auftreten. Im weiteren Krankheitsverlauf sind nicht selten mehrere Gelenke von der Pseudogicht betroffen.

Dauerhafte Beschwerden

Zwischen den Schmerzepisoden sind die Betroffenen meistens beschwerdefrei! Kommt es allerdings durch die Krankheit zu bleibenden Schäden am Gelenk oder einer chronischen Entzündung, können Schmerzen und Bewegungseinschränkung auch dauerhaft (chronisch) vorhanden sein. Sie ähneln dann den Symptomen bei einem Gelenkverschleiß (Arthrose) oder einer rheumatoiden Arthritis.

Symptomloser Verlauf

Etliche Patienten, bei denen eine Chondrokalzinose vorliegt, spüren gar keine Symptome. Man spricht in solchen Fällen von einem asymptomatischen Verlauf. Die verkalkten Gelenkknorpel sind dann ein Zufallsbefund – zum Beispiel in Röntgen-Aufnahmen, die aufgrund einer anderen Fragestellung angefertigt wurden.

Beschwerden durch begleitende Krankheiten

Pseudogicht tritt gelegentlich (vor allem bei Patienten unter 65 Jahre) in Begleitung von anderen Krankheiten auf (sekundäre Pseudogicht). Diese Erkrankungen verursachen natürlich ihrerseits ebenfalls Symptome: Typisch für eine Schilddrüsenunterfunktion sind unter anderem Müdigkeit und Kälteempfindlichkeit. Bei der Nebenschilddrüsenüberfunktion (Hyperparathyreoidismus) kommen zum Beispiel zusätzlich Nierenkoliken, Knochen- oder Magenbeschwerden vor.

Folgebeschwerden

Durch eine chronische Verlaufsform kann sich auch eine Arthrose entwickeln (im Kniegelenk handelt es sich dabei oft um eine Arthrose des Kniescheibengelenklagers). Die Erkrankung kann auch mehrere Gelenke gleichzeitig befallen und die Form eines Gelenkrheumas annehmen. Möglich sind auch Formen, die innerhalb von wenigen Monaten den Knorpel eines Gelenks zerstören.

Diagnostik

Anamnese

Der Arzt erkundigt sich zunächst genau nach den aktuellen Beschwerden des Patienten und seiner Krankengeschichte. Er macht eine Anamnese!

Bei der Pseudogicht schmerzen oft einzelne, größere Gelenke, häufig das Kniegelenk. Anfallsartige Schmerzen am Großzehen-Gelenk sprechen dagegen eher für eine Gicht.

Gab es in der Familie bereits Fälle von Pseudogicht, könnte das auf eine familiäre Veranlagung hindeuten. Ebenso wichtig ist die Frage nach zusätzlichen Symptomen, die neben den Gelenkbeschwerden vorliegen. Dadurch kann der Arzt oft auf eine andere, den Beschwerden zugrunde liegende Erkrankung schließen, die sich dann durch gezielte Untersuchungen diagnostizieren lässt.

Körperliche Untersuchung

Der Arzt untersucht die betroffenen Gelenke genau, überprüft ihr Aussehen und ihre Funktion. Außerdem achtet er auf mögliche weitere Krankheitszeichen.

Röntgen- oder Ultraschalluntersuchung

Bildgebende Verfahren wie eine Ultraschall-Untersuchung (Gelenk-Ultraschall) oder Röntgen-Untersuchung liefern unter Umständen wichtige Hinweise für die Diagnose der Pseudogicht (Chondrokalzinose). Im Röntgenbild ist Gelenkknorpel normalerweise nicht erkennbar. Kommt es im Verlauf einer Pseudogicht zu Verkalkungen im Knorpel, so kann der Arzt diese jedoch auf den Aufnahmen als zarte Streifen sehen, die den Gelenkspalt durchziehen (siehe Aufnahme des Kniegelenks).

Untersuchung der Gelenkflüssigkeit

Hat sich ein Gelenkerguss gebildet, kann der Arzt die Flüssigkeit mit einer feinen Hohlnadel abziehen (Gelenkpunktion). Die Gelenkflüssigkeit wird im Labor untersucht. Dort lässt sich unter dem Mikroskop feststellen, welche Kristalle genau zu der Gelenkentzündung geführt haben. Werden Kalziumkristalle identifiziert, spricht das für eine Pseudogicht.

Die Kristall-Bestimmung ist wichtig, um die Krankheit von der Gicht zu unterscheiden. Denn auch bei ihr führen Kristalle zu Gelenkbeschwerden. Allerdings handelt es sich dabei nicht um Kalziumkristalle, sondern Uratkristalle.

Weitere Untersuchungen

Besteht der Verdacht, dass eine bestimmte Krankheit mit der Pseudogicht einhergeht, kommen eventuell weitere Untersuchungsmethoden zum Einsatz. Blutuntersuchungen liefern oft Hinweise auf eine Überfunktion der Nebenschilddrüsen (Kalzium- , Magnesium- und Phosphatspiegel, Parathormon-Wert), eine Schilddrüsenunterfunktion (TSH-Wert) oder eine Eisenspeicherkrankheit (Eisenwert, Ferritin, Transferrinsättigung).

Behandlung

Bei akutem Befall eines Kniegelenks kann der schmerzhafte Erguss punktiert und Kortison infiltriert werden. Lokal können Kältepackungen angelegt werden. Zusätzliche Linderung kann auch, bei Verträglichkeit, durch die Einnahme oraler entzündungshemmender Medikamente erreicht werden.

Im Unterschied zu Arthrose wird patienten mit pseudogicht die Schonung und Ruhigstellung des Gelenks

Häufig entsteht eine Pseudogicht im Gefolge anderer Krankheiten. Liegt eine solche Erkrankung vor, muss sie entsprechend behandelt werden.

Die durch die Kristallablagerungen ausgelöste sekundäre Arthrose kann nur behandelt werden wie eine typische Arthrose. Eine ursächliche Behandlung oder eine Basisbehandlung (wie bei der rheumatoiden Arthritis) gibt es nicht.

Je nach Ausmaß der Pseudogicht können langfristig auch operative Maßnahmen notwendig werden: Ist ein Gelenk durch die Kristallablagerungen und die wiederholten Entzündungen stark geschädigt, kann der Chirurg eventuell die chronisch entzündete Gelenkinnenhaut entfernen (Synoviektomie). In seltenen Fällen wird ein Gelenkersatz durch ein künstliches Gelenk erforderlich.

Pseudogicht-Patienten sollten Übergewicht vermeiden beziehungsweise langsam reduzieren – durch eine gesunde, ausgewogene Ernährung und ein individuell geeignetes Maß an körperlicher Bewegung.

Kurze Zusammenfassung

  • Die Pseudogicht ist eine häufige Erkrankung im hohen Alter (ab 80 Jahre).
  • Die Diagnose erfolgt durch den Nachweis der Kristalle im Gelenkpunktat.
  • Intraartikulär appliziertes Kortison (direkt in das Gelenk gespritzt) lindert die Schmerzen.
  • Eine wirksame Prophylaxe gibt es nicht.
  • Die Behandlung der durch die chronische Erkrankung ausgelösten Arthrose richtet sich nach den allgemeinen Arthrosebehandlungsrichtlinien.
  • Der medizinisch korrekte Name der Pseudogicht lautet Kalziumpyrophosphat-Erkrankung. Andere Namen sind Pyrophosphat-Gicht, Kalziumpyrophosphatkristall-Ablagerungskrankheit oder Kalziumpyrophosphat-Arthropathie.

Quellen: