19.02.17

Eine Behandlung mit Glucosaminhemisulfat soll die Schmerzen einer Kniegelenksarthrose lindern und ein Fortschreiten der degenerativen Gelenkveränderungen verzögern.

Ausgangslage

In Deutschland haben etwa 2,2 Millionen Menschen im Alter ab 60 Jahren eine Arthrose. Die Tendenz ist zunehmend, vor allem auch, weil zunehmend jüngere Patienten über arthrotisch bedingte Gelenkveränderungen klagen. Besonder häufig manifestiert sich die Arthrose als sogenannte Gonarthrose in den Kniegelenken.

Ist die Arthrose weit fortgeschritten und werden die Schmerzen konservativ nicht mehr ausreichend therapierbar, muss das Kniegelenk durch eine Prothese ersetzt werden.

Die möglichen konservativen Maßnahmen zur Verzögerung der Entwicklung entzündlicher Veränderungen und damit der prothetischen Versorgung sind hinreichend bekannt. Der Gelenkknorpel braucht wechselnden, aber nicht zu hohen Druck, um gesund zu bleiben Wichtigstes Elemente des Maßnahmenkatalogs sind daher ausreichende Bewegung (mit oder ohne professionelle Anleitung) und die Gewichtsreduktion.

Für gewisse Zeit lässt sich der entzündliche Reizzustand im Gelenk mit Schmerzmitteln oder mit Kortikosteroiden beheben.

Alternativen

Neben Schmerzmitteln und Kortikoiden gewinnt eine weitere Medikamentengruppe zunehmend an Bedeutung.Nach dem seit 2014 geltenden Therapie-Algorithmus der ESCEO (European Society for Clinical and Economic Aspects of Osteoporosis, Osteoarthritis and Musculoskeletal Diseases) sind bei symptomatischer Arthrose first line (vorweg) auch sogenannte SYSADOA (Symptomatic Slow-Acting Drugs for Osteoarthritis) zu empfehlen, die den Knorpel und dessen Stoffwechsel günstig beeinflussen können oder sollen.

Der tatsächliche Effekt und Nutzen wird widersprüchlich diskutiert. Grund ist vor allem das Fehlen breit angelegter Studien über einen langen Zeitraum. Zwei erst Ende November 2016 vorgestellte scheinen jedoch die positiven Annahmen zu Effekt und Nutzen zu bestätigen.

Einer Cochrane Analyse zufolge reduziert das SYSADOA “Glucosaminhemisulfat” die Schmerzen und die Funktionseinschränkungen. Darüber hinaus verzögert es den Arthroseprogress, so dass der Zeitpunkt der Prothesenversorgung hinausgezögert werden kann.

Für andere Glucosamin-Präparate konnten diese Effekte in Studien nicht belegt werden.

Cochrane, ein internationales Netzwerk von Wissenschaftlern und Ärzten, das sich an den Grundsätzen der evidenzbasierten Medizinorientiert. Das zentrale Ziel ist die Verbesserung der wissenschaftlichen Grundlagen für Entscheidungen im Gesundheitssystem. Das internationale Netzwerk von Forschern und Ärzten ist zwar berühmt für Übersichtsarbeiten nach höchstem statistischen Standard, gerät aber wegen möglicher Manipulierbarkeit zunehmend in Kritik.

Eine weitere aktuelle Studie will ebenfalls die präventive Wirkung belegen: Die Rate neuer Gonarthrosen war unter Glucosaminhemisulfat deutlich geringer als in der Kontrollgruppe einer PROOF-Studie.

Eine Proof of Concept (PoC) Studie ist eine klinische Studie zur Feststellung, ob die Behandlung (Arznei) biologisch aktiv ist oder nicht. PoC Studien verwenden für gewöhnlich Surrogatparameter, also “Ersatzmessgrößen” dar, die zwar mit dem Ereigniss in Verbindung gebracht werden, aber keine sichere Aussage bezüglich des klinischen Endpunktes erlauben und deshalb zu Trugschlüssen führen. Normalerweise handelt es sich dabei um Studien welche das Sicherheitsprofil und die Dosisfindung einer neuen Arznei untersuchen. Sie benötigen eine Fallzahlberechung basierend auf den Surrogatmarkern und besitzen daher folglich meist nicht ausreichend Aussagekraft um einen bedeutenden Unterschied in einem klinisch relevanten Endpunkt aufzuzeigen.

Schlußfolgerung

Die erwähnten Studien wurden auf dem Deutschen Kongress für Orthopädie und Unfallchirurgie 2016 in Berlin vorgestellt, und werden daher hier erwähnt.

Glucosaminhemisulfat ist rezeptfrei erhältlich, sehr teuer und wird strategisch in ausgeklügelten Marketingkampagnen beworben. Die beiden zitierten Studien sind nur eine kleine Auswahl von vielen Veröffentlichungen zu diesem Thema mit sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Die Autorin der zweitgenannten Studie wirbt für sich in ihrem Profil als “Spezialisierter Partner für die Pharma- und Ernährungsbranche … in Marketing und Vertrieb". In der Originalpublikation zu diesem Artikel  (www.aerzteblatt.de) existieren keine Quellenangaben. Die Veranstaltung zur Cochrane Analyse wurde freundlicherweise von einem Pharmaunternehmen unterstützt, das ein weit verbreitetes Glucosaminhemisulfat Produkt im Portfolio hat.

Eine gesunde, aber nicht mißtrauische Skepsis lässt sich daher rechtfertigen. Unbestritten ist aber auch, dass die Zahl der positiven Studien zum Thema wächst. Wegen der guten Verträglichkeit und der mit der Einnahme verbundenen möglichen Linderung der Symptomatik, wird daher weder von einer Einnahme abgeraten, noch wird sie ausdrücklich empfohlen.

"Verbessern, "aufschieben" oder "lindern" heißt nicht "heilen"!

Quellen:

Hinweis: Die Eingabe von Medikamenten oder Wirkstoffen in Suchengines wie Yahoo oder Google führt Sie auf den ersten mehreren hundert Einträgen zu Verkaufsportalen oder zu Werbeseiten. Eine einfache Suche ist daher nur bedingt geeignet, fachliche, faktenbasierte, an keinen kaufmännischen Interessen orientierte Informationen zu gewinnen.