14.05.17

Starkes Übergewicht fordert die Gelenke und kann dadurch auch einen vorzeitigen Knorpelabrieb (Arthrose) begünstigen. Besonders Knie- und Hüftgelenke sind da auf ihnen ein Großteil des Körpergewichts lastet und sie einen höheren mechanischen Druck aushalten müssen.

Weitere für die Arthroseentwicklung bei Übergewichtigen mögliche Risikofaktoren sind Achsfehlstellungen und eine schwache Stützmuskulatur. Außerdem kann erhöhtes Körperfett Entzündungen an den Gelenken begünstigen.

Sind konservative Behandlungsmethoden ausgereizt, stehen häufig chirurgische Verfahren, wie der Einsatz eines Kunstgelenks, zur Debatte. Bei stark übergewichtigen bzw. adipösen Patienten können jedoch im Vergleich zum normalgewichtigen Patienten andere Vorgehensweisen notwendig sein. Das gilt für die Zeit vor, während und nach einer Operation.

Mit hohem Körpergewicht assoziierte Erkrankungen wie Diabetes, Bluthochdruck oder Herzerkrankungen stellen zusätzliche Risikofaktoren bei einer Operation dar.

Erschwerend kommt hinzu, dass die (manuelle) Durchführung der Operation bei extrem hohem Körpergewicht schwierig ist. So verwehrt die Fettschicht je nach Operationsgebiet die Sicht auf die zu behandelnden Strukturen, und das Risiko, anderes Gewebe zu verletzen, steigt. Da bei der Operation eines adipösen Patienten solche Besonderheiten zu beachten sind, ist die Operationszeit meist länger als bei Normalgewichtigen, was zusätzlich für eine Belastung des Organismus sorgt.

Des Weiteren leiden frisch operierte stark Übergewichtige  im Vergleich zu Normalgewichtigen häufiger an Wundinfektionen oder Wundheilungsstörungen, Thrombosen, Embolien und Lungenentzündungen. 

Mehr als "ein paar Kilo zu viel"

Nun ist der Begriff Übergewicht in diesem Zusammenhang etwas schwammig. Wer ein paar Kilo zu viel auf die Waage bringt, muss sich nicht gleich vor einer anstehenden Operation fürchten. Problematisch kann es aber bei wirklich extremem Gewicht in Relation zur Körpergröße werden. Dieses Übergewicht hat dann einen Krankheitswert; man spricht von Adipositas.

Zur Bestimmung der Adipositas nutzt man als Richtwert den sogenannten Bodv-Mass-Index (BMI), der aus Körpergröße und -gewicht errechnet wird. Während man bei einem BMI von unter 19 von Unter- und bis 25 von Normalgewicht spricht, gelten Werte von 25 bis 30 als Übergewicht. Ab einem BMI von 30 handelt es sich laut Definition um Adipositas, welche wiederum nach ansteigenden Werten in vier verschiedene Grade eingestuft werden kann.

Alles muss größer sein

Bezüglich der Krankenhauseinrichtungen kann es bei stark Übergewichtigen zu Problemen kommen. Sie beginnen bereits bei der im Vorfeld notwendigen Diagnos-tik: Müssen bildgebende Verfahren wie Magnet- oder Computertomografie angewendet werden, stößt man im wahrsten Sinne des Wortes an seine Grenzen, wenn die - meist röhrenförmigen - Geräte einfach zu eng oder zu klein für die Patienten sind. Unter Umständen muss dann auf speziell ausgestattete Häuser ausgewichen werden.

Ähnlich kompliziert ist die Situation bei Rollstühlen, Liegen, Operationstischen und sanitären Anlagen, die dem hohen Gewicht standhalten müssen, bei Kabeln von Geräten und Operationsinstrumenten, die länger, oder OP-Hemden, die größer sein müssen. Für all dies existieren mittlerweile Sonderanfertigungen und es muss lange nicht mehr so viel improvisiert werden wie früher. Aber nicht jede Klinik ist entsprechend ausgestattet, doch aufgrund der steigenden Zahlen an Übergewichtigen in den Industrieländern wird die Versorgung entsprechend besser.

Ein schwerer zu lösendes Problem ist  die stark beanspruchte Körperkraft des Pflegepersonals, das die Übergewichtigen lagern muss. Zunehmend sind auch hier spezielle Einrichtungen wie Hebevorrichtungen notwendig.

Zu wenig Reserven: Das Untergewicht

Bei untergewichtigen Personen, die sich einem chirurgischen Eingriff unterziehen müssen, haben es Chirurgen und Pflegepersonal im Vergleich zu Personen mit sehr starkem Übergewicht leichter. Sie können standardisiertes Inventar und Instrumentarium nutzen. Die Patienten selbst profitieren aber nicht immer davon. Wer untergewichtig ist, hat weniger Reserven, sodass von diesen Personen OPs häufig weniger gut verkraftet werden. Somit ist weder Unter- noch Übergewicht ideal.

Anästhesie

Stark übergewichtige Patienten stellen für Anästhesisten eine Herausforderung dar und erfordern viel Erfahrung. Wird bei Normalgewichtigen für manche Operationen vorbereitend, z. B. am Abend vor der Operation, ein Beruhigungsmittel verabreicht, verzichtet man bei Übergewichtigen meist aufgrund eines erhöhten Risikos einer Hypoventilation darauf.

Auf dem OP-Tisch ist hinsichtlich der Narkose für diese Patienten eine Oberkörperhochlagerung, für die spezielle Lagerungshilfen genutzt werden, am besten. Je nach Halsumfang muss der Kopf anders als bei Normalgewichtigen erhöht sein, um den Beatmungsschlauch richtig zu platzieren und nicht einzuengen. Damit bleibt die Sauerstoffversorgung während der Narkose gewährleistet. Die Oberkörperlagerung sollte auch im Aufwachraum bestehen bleiben.

Medikation

Auch hinsichtlich der Medikamentendosierung stellen Adipositaspatienten einen Sonderfall dar, da die meisten Dosierungsanweisungen auf Normalgewichtige bezogen sind. Zur Anpassung kann dann nicht einfach die Dosis entsprechend erhöht werden, da das Mehr an Körpergewicht nicht automatisch ein entsprechendes Mehr an Körperwasser, Körperfett oder Muskeln und Sehnen bedeutet. Es muss daher immer das Verteilungsmuster der einzelnen Substanzen bedacht werden. So entfalten fettlösliche Stoffe ihre Wirkung im Körper bei Übergewicht beispielsweise viel langsamer.

Erschwert ist bei Adipösen oft auch die Injektion für system ische oder lokale Medikamente, weil die notwendige Einstichstelle schwerer gefunden wird, wenn beispielsweise Venen oder der Epiduralraum durch das überlagernde Fettgewebe schlecht zu ertasten sind. Um Venen richtig "zu treffen", kann in manchen Fällen ein Ultraschallgerät zur Hilfe genommen oder zuerst kleine Schnitte mit dem Skalpell gemacht werden, die den Blick auf die Vene ermöglichen. 

Die Situation nach der Operation

Höheres Körpergewicht setzt sowohl natürliche als auch künstliche Gelenke stark unter Druck. Es wird vermutet, dass der Materialabrieb bei übergewichtigen Endoprothesenträgern daher erhöht 'ist. Das ist allerdings nicht eindeutig belegt und es existieren verschiedene Daten zu diesem Thema. Als Gründe für eine nicht erhöhte Rate an Prothesenlockerungen bei Übergewichtigen wird angeführt, dass bei Adipösen von einer geringeren körperlichen Aktivität ausgegangen werden darf, was die stärkere Belastung durch das Köpergewicht eventuell ausgleicht. Ärzte und Prothesenhersteller weisen außerdem auf eine hohe Qualität und Belastungsfähigkeit moderner Kunstgelenke hin. Andere Quellen belegen hingegen ein erhöhtes Risiko sowohl der aseptischen als auch septischen Prothesenlockerung wie auch der Auskugelung des Kunstgelenks für adipöse Patienten.

Schlussfolgerung

Ob zur Risikoverminderung vor einer Operation oder präventiv, zur Verhinderung von Erkrankungen zu verhindern - starkes Übergewicht sollte möglichst reduziert werden. Dies ist ein mitunter schwerer, aber dennoch lohnenswerter Weg, der durch Ärzte und spezielle Programme unterstützt werden kann.

Quelle:

  • Orthopress 2/2016
  • Ausgabe NORDOST
  • Autor. S. Zerres