21.09.15

Die folgenden Erläuterungen gelten für alle Schmerzen im Bereich des Stütz- und Bewegungsapparates. Daher eignen sie sich auch als Erklärungsmodell für die Schmerzwahrnehmung bei Vorliegen einer Osteoporose.

Akuter Schmerz vs. chronischer Schmerz
Im Unterschied zum akuten Schmerz stellt sich die Situation beim chronischen Schmerz anders dar. Hier hat der Schmerz seine Warn und Schutzfunktion verloren. Er wird zu einem eigenständigen Krankheitsbild.

  Akuter Schmerz Chronischer Schmerz
Dauer In der Regel kurz Länger als 6 Monate 
Funktion Warnfunktion, Hinweis auf Ursache Keine Warnfunktion
Reaktion Schonung Bewältigung (leben mit dem Schmerz), Bekämpfung und evtl. Versinken in Depression oder Resignation möglich
Auslöser  Verletzungen, Entzündungen, Fehlhaltung Loslösung von auslösenden Ursachen, Hinweise auf Grunderkrankungen fehlen oft, Schmerz als eigentliches Krankheitsbild

Die drei Teufelskreise bei der Entstehung des chronischen Schmerzes
Damit aus einem akuten ein chronischer Schmerz wird, ist ein permanenter Schmerzeinstrom über längere Zeit, in der Regel länger als sechs Monate, erforderlich. Drei aufeinander folgende Prozesse führen zur Chronifizierung:

  1. Der erste Teufelskreis beginnt:
    Unter dem Trommelfeuer der Schmerzimpulse reagiert das Nervensystem, indem es Schmerzbotenstoffe in der Peripherie ausschüttet. Diese führen entlang der Nervenfasern zu einer Entzündung. Schmerz führt zu Entzündung, die wiederum Schmerz erzeugt. Gleichzeitig wird die Nervenzelle für bestimmte Ionen (elektrisch geladene Teilchen) durchlässiger. Dadurch gelangen mehr schmerzfördernde Botenstoffe in die Nervenzelle.
  2. Ein zweiter Teufelskreis folgt :
    Jetzt werden Zentren des Gehirns andauernd mit üblen, schlechten und und schmerzhaften Informationen aus der Peripherie überschüttet. Das führt zu einem Stimmungsabfall und auf längere Zeit zu einer Depression.
  3. Der dritteTeufelskreis wird eröffnet:
    Eine Depression  hat zur Folge, dass die Konzentration (Menge) eines wichtigen "Glücksbotenstoffes" – des Hormons Serotonin – sinkt. damit schwindet der hemmende Einfluss des Serotonins auf die Schmerzausbreitung.

Nicht jeder akute Schmerz mündet in eine Chronifizierung. Woran es nun liegt, dass bei manchen Menschen der Weg in die Chronifizierung führt, bei anderen nicht, ist nicht endgültig geklärt. Fest steht jedoch: der chronisch Schmerzkranke trägt keine Schuld an seiner Schmerzkrankheit. Es ist vielmehr sein Schicksal, so reagieren zu müssen.

Der Verlust der zentralen Schmerzhemmung
Angenommen, Ihr Schmerz hat sich chronifiziert, dann reagieren Sie immer empfindlicher auf neue Schmerzreize. Im Extremfall kommt es zu einer Hyperalgesie – einer verstärkten Schmerzwahrnehmung oder Überempfindlichkeit auf äußere Reize. Jede Gewebsverletzung löst eine Kaskade von Ereignissen aus und kann zu einer Überempfindlichkeit führen.

In diesem "Lernprozess" wird die Ansprechbarkeit der Nozizeptoren (Schmerzrezeptoren) erhöht. Es findet eine Sensibilisierung statt, ähnlich wie bei einer Allergie, wo winzigste Mengen eines Allergens (z. B. Pollen) ausreichen, eine allergische Reaktion mit asthmatischen Beschwerden, Juckreiz, Hautrötung etc. herbeizuführen.

Eine Besonderheit der physiologischen, "normalen" Schmerzwahrnehmung ist, das die mit dem Schmerzrezeptor gekoppelte Nervenzelle den akuten Schmerz erst dann zum Gehirn weiterleitet, wenn der äußere Reiz so stark ist, dass eine Schädigung des Gewebes zu befürchten ist.

Ganz anders stellt sich die Situation beim chronischen Schmerz dar: Bei chronischer Schmerzreizung steigt die Entladungsfrequenz der Zelle auf gleiche Reize stetig an. Gleichzeitig sinkt die Wahrnehmungsschwelle der Nervenfasern. Das heißt: die Nervenfasern entladen bereits bei unterschwelligen (geringfügigen) Reizen und melden den Reiz als Schmerreiz weiter. Jetzt ist schon das Streichen mit einem Wattebausch über die sensibilisierte Zone schmerzhaft. Entsprechendes gilt für Kälte und Wärmereize und auch chemische Reize.

Unter diesen Umständen beginnen auch andere Rezeptortypen, die unter normalen Umständen Berührung, Druck oder Temperatur melden, Schmerzsignale weiter zu leiten. Das ist zunächst nichts besonderes, und Ihnen sicher  auch aus der eigenen Erfahrung bekannt: Je wärmer beispielsweise das Wasser mit dem Sie sich waschen oder je höher der Druck eines Gegenstandes auf die Haut, desto eher haben Sie den Eindruck von Schmerzen.

Für solche Veränderungen der Wahrnehmung werden Schmerzneurone im zentralen Nervensystem – also im Gehirn – verantwortlich gemacht, die von außen kommende mechanische Reize nicht mehr hemmen. Die exakte Unterscheidung zwischen Impulsen aus dem erkrankten Arealund der unbeteiligten,nahen Umgebung dieses Areals ist nichtmehr möglich. Deshalb findet die Sensibilisierung bei chronischen Erkrankungen nicht nur in der betroffenen Region statt, sondern auch in der nunmittelbaren Umgebung. Auch die Berührung der umliegenden Areale wird ebenfalls als Schmerz empfunden.