17.11.14

Sitzen, die Form der Wirbelsäule und die Folgen
Die Form der Wirbelsäule verändert sich beim Sitzen erheblich. Im Stehen ist sie doppelt geschwungen: Das Becken kippt nach vorn, das Rückgrat kurvt im Lendenbereich in Richtung Vorderseite (Lordose) und im Nacken Richtung Kehlkopf (Kyphose). Im Sitzen hingegen kippt das Becken nach hinten, die Kurven der Wirbelsäule flachen ab. Der Rücken wird flacher und die Haltemuskeln erschlaffen.

Die Antwort auf diese unphysiologische ("nicht natürliche") Körperhaltung lag auf der Hand: Bei Sitzen ist die normal gegebene Form der Wirbelsäule durch gestreckte Körperhaltung zu imitieren oder sogar näherungsweise zu realisieren. Vor allem Ältere erinnern sich noch an Aufforderungen wie "sitz gerade" oder "lümmel nicht so rum". Jede andre Sitzhaltung galt als unschicklich, flegelhaft oder einfach nur als "amerikanisch". Das Resultat waren (und sind) vor allem heftige Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule. Echte Schäden an der Substanz wie Wirbelkörperverschleiß oder Bandscheibenschäden als Folgen der aufrechten Sitzposition werden jedoch seltener beobachtet.

Erst in den letzten Jahren begann man, diese Regel sukzessive in Frage zu stellen. Grundlage für den Paradigmenwechsel sind Messungen, die belegen, dass die Wirbelsäule durch die im aufrechten Sitzen angespannte Balance stärker belastet wird, als bei einer entspannteren, wenngleich weniger den Konventionen entsprechenden Sitzhaltung. Als besonders schonend gilt nach neuen Erkenntnissen die entspannt zurückgelehnte Sitzhaltung, bei der Knie und Oberkörper etwa einen 135-Grad-Winkel bilden.

Neben dem aufrechten Sitzen ist auch die sogenannte "Schildkrötenhaltung" prädestinierend für die Entwicklung von Rückenschmerzen. Darunter versteht man die Haltung, die sich automatisch einstellt, wenn man – beispielsweise an einem Bildschirmarbeitsplatz - mit gesenktem Kopf, vorgestrecktem Hals und starrem Blick vor dem Monitor kauert oder sich an in der Höhe inadäquaten Schreibtischen über Akten oder Schreibarbeiten beugt.

Zusätzlich zu den Schmerzen im Lendenwirbelbereich fördert die Schildkrötenhaltung Beschwerden im oberen Rücken und im Nacken.

Die Schmerzen werden durch die Muskulatur ausgelöst. Es sind die Muskeln, nicht die Knochen, die Ihnen wehtun. Wenn Sie stundenlang in derselben Haltung ausharren, belasten Sie auch immer dieselben Muskeln. Diese verkrampfen mit der Zeit und verhärten sich. Oft hilft ein gezieltes Dehn-Training der schmerzenden Rückenpartien.

Die Rehabilitierung des Zappelphilipp
Im Unterschied zur angespannt aufrechten Sitzposition ist die zurückgelehnte Sitzhaltung in den Fällen, in denen man die Schildkrötenposition einnehmen muss, keine wirklich praktikable Alternative. Um den rückenschädigenden Effekt aller "unnatürlichen" Sitzpositionen weiter zu reduzieren ist es daher notwendig, immer – auch während des Sitzens - in Bewegung zu bleiben, wobei Bewegung in diesem Fall Positionswechsel bedeutet.

Am besten beugen Sie Verspannungen durch dynamisches, bewegtes Sitzen vor. Lassen Sie sich stattdessen regelmäßig vom Hocker reißen. Zappeln Sie nach Lust und Laune. Auch wenn sich dieses Verhalten noch nicht als korrekte Sitzposition etabliert hat, Ihr Rücken wird es Ihnen danken. Die Zappelei trainiert nämlich nicht nur verschiedene Muskeln, sie sorgt auch dafür, dass die Wirbelsäule in Bewegung bleibt - das ist wichtig für die Bandscheiben. Die federnden Knorpelscheiben zwischen den Wirbelknochen funktionieren wie ein Schwamm: Werden sie bei einer Bewegung zusammengedrückt, verlieren sie Gewebsflüssigkeit. Werden sie entlastet, saugen sie sich wieder voll. Die aufgenommene Flüssigkeit versorgt sie mit Nährstoffen.

Zappeln.  Wie geht das?
Wenn Sie oft vornüber gebeugt am Schreitisch arbeiten müssen, sollten Sie sich zum Beispiel zwischendurch immer wieder zurücklehnen. Versuchen Sie auch, ein paar Minuten lang ganz aufrecht zu sitzen. Rutschen Sie auf dem Stuhl ganz nach hinten und kippen Sie das Becken nach vorn. Und dann umgekehrt: An die Stuhlkante rutschen und das Becken nach hinten kippen. Nehmen Sie die Schultern zurück und strecken Sie den runden Rücken durch. Probieren Sie einfach aus, welchen Positionen und Bewegungen Ihnen gut tun.

Anderswo sitzen ist auch sitzen
Selbstverständlich sind die Positionswechsel auf dem Stuhl keine Lizenz zum Sitzenbleiben. Stehen Sie zwischendurch mal auf. Telefonieren Sie beispielsweise auch einmal im Stehen oder laufen Sie zum Drucker, satt ihn in Reichweite zu positionieren. Ein großer Teil der Pause sollte der körperlichen Aktivität reserviert bleiben. Das Essen und der Kaffee auf einem Stuhl an einem Tisch in der Kantine zu genießen heißt, die Sitzposition weiter beizubehalten. Spaziergänge wären eine Alternative. Ihrer Phantasie sind dabei Grenzen gesetzt. Der Leidensfähigkeit Ihres Rückens hingegen schon!
 

1844 sehr verpönt, heute erwünscht: Der Zappelphilipp.
1844 verpönt, heute erwünscht: Der Zappelphilipp.