21.12.15
Stress. Ein nicht unerheblicher Risikofaktor für Rückenschmerzen
Stress. Ein nicht unerheblicher Risikofaktor für Rückenschmerzen

Rückenschmerzen können im Allgemeinen viele verschiedene Ursachen haben. Dazu zählen falsches Tragen und Heben ebenso wie Bewegungsarmut, Übergewicht oder andere Erkrankungen, insbesondere solche des Stütz-und Bewegungsapparates und des Nervensystems. Häufig manifestieren sich Rückenleiden zunächst als akute Rückenschmerzen, die mit entsprechend intensiver Behandlung meist gut therapierbar sind und nach angemessener Zeit ausheilen. Wenn die Rückenschmerzen jedoch bleiben, d.h. „chronifizieren“, kann dies psychosomatische Ursachen haben. So gilt inzwischen als bewiesen, dass chronische Rückenschmerzen durch Stress gefördert oder gar ausgelöst werden. Vom Übergang akuter zu chronischen Rückenschmerzen sind etwa ein Drittel aller Patienten betroffen.

Rückenschmerzen: Ein orthopädisches oder psychologisches Problem?
Der nachgewiesene ursächliche Zusammenhang zwischen der Chronifizierung von Rückenschmerzen und psychischen Belastungen, namentlich Stress, wirft die Frage auf, ob Rückenschmerzen ein orthopädisches oder doch mehr ein psychologisches Problem darstellen.

Akute Rückenschmerzen, darüber sind sich die Mediziner einig, sind und bleiben in erster Linie ein orthopädisches Problem. Bei chronischen Rückenschmerzen muss die Zuordnung wegen möglicher psychologischer Risikofaktoren differenzierter gesehen werden. Psychologische Risikofaktoren können für den Übergang von akuten zu chronischen Rückenschmerzen ursächlich und somit entscheidend sein. Deshalb sollte das psychologische Moment von chronischen Rückenschmerzen nicht unterschätzt werden, auch wenn das leiden nach wie vor, als hauptsächlich orthopädisches Problem anzusehen ist.

Risikofaktoren frühzeitig erkennen
Es ist bekannt, dass seelische Belastung sich in körperlichem Schmerz ausdrückt. Die Seele schickt Informationen an den Menschen, um ihn vorzuwarnen. Diese Hinweise sind am Anfang nur sehr gering und werden von den meisten Menschen nicht wahrgenommen. Nimmt die Belastung der Seele zu oder bleibt konstant, ohne dass der Mensch die Seele entlastet, so wendet sich die Seele an Symptome, die die meisten Menschen dann auch wirklich wahrnehmen: körperliche Schmerzen. Ein Mensch, der unter starkem Stress steht, wird subtile Warnzeichen allerdings nicht bemerken. Daher ist es wichtig, eventuell an der Ausbildung chronischer Rückenschmerzen beteiligte Stressfaktoren, sogenannte Risiken, rechtzeitig zu identifizieren. Die frühzeitige Erkennung ist auch deshalb wichtig, da sie doch die Chance einer spezifischen Beratung und Behandlung bietet, bevor die Schmerzen chronisch werden.

Medizinpsychologen gehen heute davon aus, dass sich mehr als 80 Prozent der vom Übergang akuter zu chronischen Rückenschmerzen gefährdeten Patienten anhand psychologischer Risikofaktoren identifizieren lassen. Die geforderte Früherkennung solcher Risikofaktoren ist nach gängigen Erfahrungen bereits zwei Monate nach dem Beginn akuter Schmerzen möglich. Zu den Risikofaktoren zählen beispielsweise:

  • eine depressive Stimmungslage
  • anhaltende Alltagsbelastungen in Beruf oder Familie
  • ungünstige Schmerzbewältigung

Zeigen z.B. Patienten mit einem Bandscheibenvorfall eine verstärkte depressive Stimmung, dann neigen sie auch zur Entwicklung chronischer Schmerzen und kehren seltener an ihren Arbeitsplatz zurück. Doch Vorsicht: Die Patienten sind in der Regel nicht im psychiatrischen Sinne depressiv erkrankt. Psychologische Testwerte liegen bestenfalls im Bereich „milder Auffälligkeiten“. Man spricht auch von „Stimmungslagen“ wie sie insbesondere durch oder nach belastenden Lebenssituationen auftreten. Im Vordergrund stehen nicht selten belastende Situationen im Beruf.

Sonderfall: das individuelle Bewältigungsverhalten
Einen entscheidenden Einfluss darauf, ob Rückenschmerzen chronisch werden hat das das individuelle Bewältigungsverhalten. Zu den Hochrisikofaktoren gehören daher gehören sowohl ängstliches Schonverhalten als auch extremes Durchstehverhalten.

Sehr ängstliche Patienten versuchen möglichst alle körperlichen und sozialen Aktivitäten zu meiden, die Schmerzen verstärken könnten. Sie hören oftmals ganz auf, Freunde zu besuchen oder selbst zu empfangen, ihren Hobbies nachzugehen oder Sport zu treiben. Das Vermeiden körperlicher Aktivitäten kann über die Minderbeanspruchung der Muskulatur zu einer Muskelschwäche führen, die wiederum Schmerzen verursacht. Begünstigt dieser soziale Rückzug wiederum depressives Erleben, endet der Patient in einem Teufelskreis.

Die entgegengesetzte Bewältigungsform - das „Unterdrücken“ der Schmerzen in Gedanken und im Verhalten um begonnene Aktivitäten um jeden Preis zu beenden - erweist sich als ebenso ungünstig. Die Patienten sind nicht in der Lage, im Alltag entspannungsfördernde Pausen einzulegen. Es wird angenommen, dass solche suppressive Bewältigungsstrategien zu einer Überbelastung von Muskeln, Bändern und Gelenken führen, die bei langanhaltender Einwirkung die Schmerzen verstärken.

Sonderfall: nonverbales Kommunikationsverhalten
Einen weiteren psychologischen Risikofaktor stellt das nonverbale Kommunikationsverhalten im Umgang mit Schmerzen dar. Patienten neigen dazu, ihre Schmerzen über die Mimik (schmerzverzerrtes Gesicht), Gestik oder über die Körperhaltung. Diese Verhaltensäußerungen sind anfangs ein Reflex auf plötzlich einsetzende Schmerzen. Sie werden chronisch, wenn Angehörige mit besonderer Zuwendung oder Unterstützung darauf reagieren.

Was kann man tun?
Wer bemerkt hat, dass die chronischen Rückenschmerzen durch Stress ausgelöst worden sind, kann mit einfachen Übungen etwas dagegen tun. Drückt der Stress zu sehr auf die Seele, benötigt sie Entspannung. Dies kann man mit vielen, insbesondere professionell angeleiteten Entspannungsübungen erreichen. Selbstverständlich ist dies nicht mit z.B. einer einzigen Yogastunde oder einem gelegentlichen Bad zu erreichen. Sind chronische Rückenschmerzen durch Stress entstanden, muss der Stress langfristig abgebaut und vermieden werden, damit der Schmerz dauerhaft verschwindet.

Was in vielen Broschüren oder Ratgebern in solch einfachen Ratschlägen niederschlägt, ist in der Praxis häufig weitaus schwieriger zu realisieren. Ob psychologische Risikofaktoren für die Entstehung chronischer Rückenschmerzen überhaupt und wenn, in welchem Umfang zu tragen kommen, ist abhängig vom jeweiligen Zusammenspiel situativer Faktoren (z.B: drohende Kündigung am Arbeitsplatz) und erlernter Bewältigungsfertigkeiten (z.B. persönlicher Umgang mit Schmerz).

Orientierend kann gesagt werden, dass bei einem Überwiegen situativer Faktoren (z.B. familiäre Belastungssituation, Arbeitsplatz etc.) eine eingehende Beratung durch den behandelnden Arzt oder einfache Entspannungsübungen diese Situation des Patienten bereits verändern können. Schwieriger gestaltet sich die Situation bei einem Überwiegen fehlerhaft erlernter Bewältigungsfertigkeiten (z.B. ungünstiges Schmerzververarbeitungsrepertoire). Hier ist ein individuelles kognitiv-verhaltenstherapeutisches Vorgehen unter Anleitung ausgebildeter Schmerztherapeuten angezeigt. Schon dieser Unterschied macht die Notwendigkeit einer sorgfältigen Erstellung eines kritischen psychologischen Risikoprofils notwendig.

Quellen: