Neue Leitlinien zur Osteoporose: Die Indikation zur Diagnostik
Liegt bereits eine Wirbelsäulenfraktur vor, ist das Risiko für weitere Frakturen deutlich erhöht. Das gilt nicht nur für Wirbelfrakturen, sondern auch für andere Knochen des Skeletts. Zusätzliche Steigerungen des Risikos sind durch Alter und Geschlecht gegeben.
Es kann, insbesondere bei Frakturen der Extremitäten (Arme und Beine) nicht sicher festgestellt werden, ob die Fraktur wirklich osteoporosebedingt ist. Das gilt natürlich im Besonderen für Frakturen infolge äußerer Gewalteinwirkung durch beispielsweise Sportunfälle. Deshalb sollte gerade bei peripheren Frakturen im Einzelfall abgeschätzt werden, ob ein solches Ereignis einen dringenden Osteoporoseverdacht begründet.
Wann sollte eine gezielte Osteoporosediagnostik durchgeführt werden?
Ist als Grund für eine Fraktur das Vorliegen einer Osteoporose anzunehmen, sollte dieser Verdacht diagnostisch weiter abgeklärt werden.Bei Frauen ist eine weitere diagnostische Abklärung ab dem 50. Lebensjahr, bei Männern ab dem 60. Lebensjahr indiziert. hren gegeben. Männer haben ein deutlich niedrigeres Frakturrisiko als Frauen. Daher
beginnt bei Männern die Diagnose in der Regel erst in späteren
Lebensjahren.
Im Allgemeinen richtet sich Ihr Orthopäde nach folgenden Empfehlungen:
- Frauen zwischen 50 und 60 Jahren
Männer zwischen 60 und 70 Jahren
Auftreten von Wirbelkörperbrüchen. Verdächtige periphere Frakturen (im Einzelfall entscheiden) - Frauen zwischen 60 und 70 Jahren
Männer zwischen 70 und 80 Jahren
Bei Wirbelfrakturen, peripheren Frakturen, bekannten Oberschenkelhalsfrakturen bei einem Elternteil, Nikotinkonsum, häufige Stürze, Bewegungsmangel - Frauen zwischen 70 und 80 Jahren
Männer zwischen 80 und 90 Jahren
Das Lebensalter alleine ist ausreichend, eine Osteoporosediagnostik zu beginnen
Die spezifische Diagnostik der Osteoporose
Zur spezifischen Diagnostik der Osteoporose ist die Durchführung einer Knochendichtemessung erforderlich., Der DXA („dual-X-ray-absorptiometry“) Methode sollte der Vorzug gegeben werden, weil auf ihr alle großen Therapiestudien basieren.
Wenn möglich, ist der DXA-Messwert an zwei Stellen zu ermitteln: an der Lendenwirbelsäule (Lendenwirbelkörper 1–4) und am körpernahen Oberschenkelknochen (Femur). Der niedrigere der beiden so ermittelten Werte ist dann der Wert, der zu weiteren Schlussfolgerungen herangezogen wird.
Gemessen wird der sogenannte T-Wert. Der T-Wert oder T-Score ist ein statistischer Wert. Er gibt, in statistisch mathematischer Sprache ausgedrückt, die Standardabweichung vom Durchschnittswert der Knochendichte unserer Bevölkerung im Alter von 30 Jahren an.
Ein T-Wert von –1 bedeutet, dass die Knochendichte genau eine Standardabweichung unter dem statistischen Mittelwert der Bevölkerung liegt. Diese Abweichung gilt aber noch als normaler Standard, d.h. ein Wert von -1 liegt noch innerhalb einer als normal zu betrachtenden Streuung, wenn auch genau auf der Grenze.
Ein T-Wert von unter –2,5 liegen liegt bereits außerhalb des von 95 % der gesunden Bevölkerung im mittleren Lebensabschnitt erreichten Bereichs. Anders ausgedrückt: Von 100 gemessenen Personen haben 95 Personen eine höhere Knochendichte als der Proband mit dem T-Wert von -2,5.
Ab einem T-Wert –1 spricht die Medizin von Osteopenie, einem „zu wenig“ an Knochenmasse. A einem T-Wert von –2,5 spricht die Medizin von Osteoporose.
T-Wert oder T-Score alleine bedeuten aber noch keine Therapieindikation. Eine Kostenerstattung der Knochendichtemessung durch die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) erfolgt nur bei vorausgegangener osteoporoseverdächtiger Fraktur!
Knochendichtewerte sind – auch bei über 60-Jährigen - relativ stabil. Wiederholte durchgeführte Messungen sind daher nicht in jedem Fall empfehlenswert. Eine Ausnahme ist natürlich immer dann gegeben, wenn besondere Ereignisse wie schwerer Vitamin-D-Mangel, längere Bewegungsmangel oder Therapiemaßnahmen mit Cortison, Auswirkunegen auf Knochendichte vermuten lassen.
Knochendichte, Alter, Geschlecht und vorausgegangene osteoporosetypische Wirbelfrakturen sind voneinander unabhängige Risikofaktoren für weitere Frakturen. Infolge dieser Unabhängigkeit ergibt die Kombination dieser Informationen bereits eine sehr zuverlässige Risikoeinschätzung.
Aus T-Wert, Alter und Geschlecht lässt sich daher die Behandlungsschwelle errechnen. Eine spezifische Therapie wird empfohlen, wenn das Risiko osteoporotischer Frakturen für die nächsten 10 Jahre die 30 %-Schwelle übersteigt.
Die 30% Schwelle ist bei folgenden Konstellationen gegeben:
- T-Wert: -4,0
Frauen zwischen 50 und 60 Jahren
Männer zwischen 60 und 70 Jahren - T-Wert: -3,5
Frauen zwischen 60 und 65 Jahren
Männer zwischen 70 und 75 Jahren - T-Wert: -3,0
Frauen zwischen 65 und 70 Jahren
Männer zwischen 75 und 80 Jahren - T-Wert: -2,5
Frauen zwischen 70 und 75 Jahren
Männer zwischen 80 und 85 Jahren - T-Wert: -2,0
Frauen älter als 75 Jahre
Männer älter als 85 Jahre
Es gilt der jeweils niedrigere T-Wert der beiden Messungen an der Lendenwirbelsäule und dem Oberschenkel.
Wie werden in diesen Empfehlungen die zusätzlichen Risikofaktoren berücksichtigt?
Die Berücksichtigung zusätzlicher Risikofaktoren ist ganz einfach. Wenn bei Ihnen einer der folgenden Risikofaktoren gegeben ist, dieren zu Ihrem tatsächlichen Lebensalter weitere 10 Lebensjahre hinz. Mit diesem "virtuellen Alter" schauen Sie dann noch einmal in die Tabelle.
Die Risikofaktoren, die Sie um „10 Jahre älter machen“, sind:
- Periphere Frakturen
- Bekannte Oberschenkelhalsfrakturen bei einem Elternteil
- Nikotinkonsum
- Häufige Stürze
- Bewegungsmangel
Beim Lesen der Liste wird Ihnen aufgefallen sein, dass die osteoporosetypische Wirbelfraktur als Risikofaktor fehlt. Das ist korrekt, denn bei einer vorangegangenen osteoporosetypischen Wirbelfraktur ist eine spezifische Therapie bei über 50-Jährigen ab einem T-Wert von unter –2,0 in jedem Fall indiziert.
Die Basisdiagnostik
Bei osteoporoseverdächtigen Frakturen oder erniedrigter Knochendichte sollte ein diagnostisches Basisprogramm durchgeführt werden. Im Wesentlichen besteht die Basisdiagnostik aus drei Komponenten: der Anamnese, der Röntgenuntersuchung (oder anderen bildgebende Diagnoseverfahren) und dem Labor.
- Anamnese:
Erfragung von Schmerzen im Bewegungsapparat, anderen Beeinträchtigungen und vorausgegangenen Stürzen, Ernährungsgewohnheiten und körperlicher Aktivität einschließlich Sonnenlichtexposition - Medikamentenanamnese:
Einige Medikamente fördern die Osteoporose oder erhöhen die Sturzgefahr. Dazu gehören Antiepileptika, Antidepressiva einige Herz- Kreislaufmedikamente und Glukokortikoide (Cortison) - Erfassung des Sturzrisikos:
Zur Erfassung des Sturzrisikos stehen dem Untersucher bestimmte standardisierte Tests zur Verfügung - Beurteilung des Gewichts:
Messung von Größe und Gewicht zur Bestimmung des „body mass index“ (BMI) - Röntgen:
Radiologische Erfassung von Wirbelkörperfrakturen bei entsprechenden klinischen Hinweisen wie plötzliche starke Rückenschmerzen oder eine Körpergrößenminderung um mehr als 4 cm - Laboruntersuchungen:
Zum Basislabor der Osteoporosediagnostik gehört die Bestimmung verschiedener Blutwerte wie Serum-Phosphat oder Serum-Calcium.
Zusammenfassung
Verschiedene Interventionen bei Ärzten und Patienten, Computersysteme oder der verbesserte Zugang zu DXA-Messungen verbessern die spezifische Diagnostik der Osteoporose und senken zum Teil die Frakturraten. Alle Ärzte, die ältere Patienten mit Frakturen behandeln, sollten daher nicht zögern, eine adäquate Diagnostik und Therapie der Osteoporose einzuleiten.
Auch ein Durchmustern aller Probanden einer bestimmten Altersgruppe und eine gezielte Diagnostik bei individuell erhöhtem Risiko können schwerwiegende Beeinträchtigungen verhindern. Leider sind solche Untersuchungen bisher keine GKV-Leistung.